Artikel & Interviews 


Interview – mit Michael Kohl

von Sunya Bergunde | Homöopathische Heilpraktikerin, Hamburg |
16.02. und 18.03.2013


Michael Kohl spricht über die Situation von Homöopathen im der heutigen
Landschaft der Methodenvielfalt. Er gibt uns einen Einblick in seinen Werdegang und wie er selbst in verschiedenen Richtungen mehr oder minder erfolgreich arbeitete. Er zeigt auf, welchen großen Unterschied
das präzise Vorgehen und die damit zusammenhängenden Heilerfolge seit der ausschließlichen Anwendung des Symptomenlexikons und der Besinnung auf die klare Methodik Hahnemanns bedeuten.


SB: Seit wann arbeitest Du als Homöopath?

MK: Seit April 1984 in eigener Praxis.


SB: Du hast ja mit vielen Strömungen der Homöopathie in deiner Praxis gearbeitet, bevor du vor ca. 9 Jahren bei der ursprünglichen, als „genuine Homöopathie“ bezeichneten Richtung angelangt bist. Wie kam es dazu?

MK: Hahnemanns Aussage von einer Medizin, die schnell, sanft und
dauerhaft heilen kann, hatte mich von Anfang an begeistert. Insbesondere, dass die Heilung nach deutlich einzusehenden Gründen erfolgen soll. In den ersten 20 Jahren als Homöopath wollte sich dieses Versprechen allerdings nie so richtig einstellen. Ich studierte die unterschiedlichsten Richtungen mit Eifer aber – aus heutiger Sicht – mäßigem Heilerfolg. Mir fiel auf, dass sich dabei die einzelnen Schulen untereinander nur zu oft widersprachen. Aber wie kann das sein, wenn es sich doch auf der anderen Seite um ein einheitliches, in sich schlüssiges Heilkonzept handeln sollte? Ich fragte mich: Wie kann ich mich an schwere Krankheiten wagen, wenn ich nicht genau weiß, was die einzelnen Arzneien überhaupt bewirken bzw. wenn jede Lehrmeinung etwas anderes über sie berichtet?

Die in Homöopathenkreisen weit verbreitete Ansicht: „Der Fall gibt die
Methode vor“ machte die Not nur noch größer. Jede Fehlverschreibung
konnte nun ja auch noch bedeuten, dass man möglicherweise sogar die
falsche Methode verwendet hat. Der Beliebigkeit und Austauschbarkeit war damit Tür und Tor geöffnet. Für jeden Fall hatte ich nun die Qual der Wahl. Je nach unterschiedlichem Blickwinkel konnte ich mich bei ein und demselben Patienten immer für mehrere Ansätze entscheiden.

Frustriert von all diesen modernen Strömungen, die mich von meinem
eigentlichen Ziel immer weiter entfernten, wandte ich mich nun vor ca.
13 Jahren der so genannten „genuinen Homöopathie“ zu. Darunter
versteht man im Wesentlichen die Homöopathie wie sie – in enger
Anlehnung an Hahnemann – von dessen engsten Schülern und
Weggefährten praktiziert und gelehrt wurde. Namhafte Vertreter sind
Bönninghausen, Jahr, Lippe, Boger und Hering.

Beim Studium dieser alten Meister bemerkte ich erst, wie sehr sich
ihre Lehren unterschieden von all dem, was ich bisher gelernt hatte.
Vieles war dabei von Kent verändert worden. Dieser hatte, beeinflusst
von Swedenborg – einem schwedischen Naturphilosophen des
18. Jahrhunderts – die Homöopathie in eine ganz andere Richtung gelenkt.
Vieles von dem, was ich bisher als gesicherte Erkenntnis Hahnemanns
gehalten hatte, entpuppte sich nun als philosophische Spekulation, die
einen ganz anderen Hintergrund hatte.

Bei dem Studium der alten Meister merkte ich schnell, dass meine
Verschreibungen wieder Hand und Fuß bekamen. Das Spekulative
hatte keinen Platz mehr und meine Verordnungen basierten nun wieder mehr auf den Prüfungssymptomen der Arzneimittel und den
Heilerfahrungen dieser genuinen Homöopathen.


SB: Wie bist Du dann an das SL geraten?

MK: Anfang 2005 machte mich Stefan Reis auf das Symptomenlexikon
aufmerksam, das kurz zuvor in Buchform erschienen war. Ich war schnell fasziniert von der Idee, ausschließlich auf Basis der Arzneimittelprüfungen zu verschreiben – ohne die Verwendung herkömmlicher Repertorien, die voller Fehlerquellen sind.


SB: Kannst Du in wenigen Sätzen erläutern, worum es sich beim
Symptomenlexikon überhaupt handelt?

MK: Das Symptomenlexikon geht auf eine Idee Hahnemanns sowie auf
einige Anregungen Herings zurück. Bereits Hahnemann hatte mit einem von ihm selbst handschriftlich angefertigten Symptomen-Lexikon gearbeitet, das aber nicht veröffentlicht werden konnte, da es
unvollständig war. Deswegen beauftragte er G.H.G. Jahr als Mitarbeiter, um es komplett auszuarbeiten. Dieser erkannte jedoch, dass mit den damaligen technischen Möglichkeiten solch ein Projekt nicht zu
schaffen sei.

Das gelang mit Hilfe moderner elektronischer Datenverarbeitung erst
Uwe Plate, einem homöopathischen Heilpraktiker, der dieses Werk
Ende 2004 veröffentlichte. Zu Beginn als Buch, mittlerweile liegt es
als Computer-Programm „Symptomen-Lexikon-Digital“ vor. Grundlage
hierfür sind die Erkenntnisse von Hahnemann, seinen engsten
Schülern und Mitarbeitern wie Jahr, von Bönninghausen und Hering.

Bei dem Symptomenlexikon handelt es sich um ein Werkzeug, mit
dem man in einer bisher nicht gekannten Sicherheit sämtliche nur
mögliche charakteristische Arzneiwirkungen unserer Materia medica
erforschen kann.


SB: Es ist ja schon viel über die so genannte „charakteristische Wirkung einer Arznei“ geschrieben worden. Was verstehst Du denn unter diesem Begriff?

MK: Die charakteristische Wirkung einer Arznei besteht in ihrer
Fähigkeit, in einer Anzahl von Prüfern ganz bestimmte
krankheitsähnliche Beschwerden zu erzeugen. Diese sind
unverwechselbar – eben charakteristisch – mit dieser Arznei
verbunden. Dabei hat jedes homöopathische Mittel andere
Beschwerdebilder, die es den Prüfern aufzuzwingen in der Lage ist.
Nach dem Similegesetz kann eine Arznei dann – und nur dann – eine
Krankheit bei einem Patienten heilen, wenn ihre charakteristische
Wirkung den Beschwerden des Patienten sehr ähnlich ist. Unsere
gesamte Heilkunst steht und fällt also mit unserer Fähigkeit, diese
charakteristische Wirkung sicher zu ermitteln.


SB: Wie ermittelst Du nun die charakteristische Wirkung mit dem
Symptomen­lexikon?

MK: Die charakteristische Wirkung einer Arznei müsste – wenn sie
in der Arznei unverwechselbar verankert ist – eigentlich in jedem
Prüfer die gleiche Wirkung erzeugen. Und so ist es auch, aber
anders, als ich mir das früher dachte und anders als ich es gelernt
hatte. Die charakteristische Wirkung einer Arznei erzeugt niemals
vollständige Symptome!

Wenn von einem Mittel immer komplette Symptome erzeugt würden,
dann würden ja alle Prüfer unter den gleichen Symptomen leiden
und die Protokolle aus den Arzneimittelprüfungen wären voller gleich
lautender Symptome. So ist es jedoch nicht! Satzwiederholungen in
diesem Sinne finden sich nicht, das lässt sich leicht durch einen
Blick in die Materia Medica überprüfen. Hahnemann und seinen Anhängern war dies alles durchaus bekannt. Sie bezeichneten eine Homöopathie, die versucht, ganze Symptome des Patienten mit vollständigen Symptomen aus den Prüfungsprotokollen abzudecken, abfällig als „Symptomendeckerei“. Es ist einer der großen Irrtümer der heutigen klassischen Homöopathie, an diesem Fehler festzuhalten.

Worin besteht nun aber die charakteristische und unverwechselbare
Wirkung einer Arznei?

Dazu muss ich etwas ausholen: Ein vollständiges Symptom besteht aus verschiedenen Bausteinen. Diese nennen wir in Erinnerung an ihre frühere Bezeichnung „Zeichen“. Ein Symptom das z.B. lautet: „Drücken im Kopf beim Bücken“ bestände somit aus drei Zeichen:

Drückende Schmerzen…  so lautet die Beschwerde

Bücken verschlimmert…  so lautet die Modalität

Im Kopf findet die Beschwerde statt… so lautet also der Ort

Die charakteristische Wirkung einer Arznei besteht nun in so
genannten „Zeichenkombinationen“. Sie bestehen immer aus zwei
dieser Zeichen. Ein Zeichen wird somit immer durch ein Weiteres
näher bestimmt.

Für unser gerade erwähntes Beispiel ergeben sich drei mögliche
Zeichen­kombi­nationen (kurz ZKs genannt), nämlich:

Drücken im Kopf (Beschwerde + Ort)

Drücken beim Bücken (Beschwerde + Modalität)

Kopfschmerzen beim Bücken (Ort + Modalität)

Wenn man auf diese Weise die Arzneiprüfungen studiert, ob
irgendwelche ZKs gehäuft auftreten (Häufung deshalb, weil sich
die Arzneikraft ja den verschiedensten Prüfern in der immer
gleichen Weise aufdrängt), dann zeigt sich Erstaunliches: Jedes
Mittel ist offensichtlich in der Lage, mehreren Prüfern ein immer
gleich lautendes „Muster“ aufzuzwingen, nämlich gleich lautende
ZKs. Jedes Mittel produziert jeweils für sich aber ganz andere
Häufungen an ZKs, als ein anderes Mittel. Genau diese Kraft, in
den unterschiedlichsten Prüfern immer wieder die gleichen ZKs zu
erzeugen, dies ist die charakteristische Arzneiwirkung, wie es
Hahnemann im Organon im § 153 ausführt.


SB: Kannst Du das an einem praktischen Beispiel verdeutlichen?

MK: Angenommen, wir haben einen Patienten mit einer heftigen
Sinusitis, dessen Hauptbeschwerde in dem Symptom „Drückende
Kopfschmerzen beim Bücken“ besteht, dann müssen wir nicht etwa
ein gleich lautendes Prüfungssymptom finden. Dies würden wir bei
keiner Arznei gehäuft finden! So sehen die Arzneiprüfungs­protokolle
einfach nicht aus. Wer es nicht glauben mag, braucht sich nur einfach
die Symptomenreihe einiger Mittel durchzulesen. Statt dessen untersuchen wir die Materia Medica danach, welche Arzneien die in diesem Symptom enthaltenen ZKs charakteristisch in ihrer Arzneiwirkung beinhalten. Dies geht mittlerweile mit dem digitalen SL ganz einfach per Mausklick. Wir sehen auf einem Analysebogen sofort, welche Mittel 
NUR in Frage kommen können. Dies sind die Arzneien, die jede dieser ZKs häufig in den Arzneimittelprüfungen erzeugt haben. Wir nennen dies den Arzneimittelpool. In diesem steckt definitiv das Simile. Jetzt gleichen wir noch weitere Zeichenkombinationen, die der Patient hat, mit dem SL ab und erhalten am Ende ein Mittel, das in seiner charakteristischen Wirkung die meiste Übereinstimmung zu unserem Patienten hat. Dieses Mittel ist ihm am ähnlichsten, also ist es das Simile!


SB: Warum ist das SL aus deiner heutigen Sicht das effektivste / sicherste
Werkzeug, um Patienten homöopathisch zu behandeln?

MK: Das SL ist das einzige homöopathische Werkzeug, mit dem
jegliche Arzneiwirkung per Mausklick sofort in seiner Häufigkeit des
Auftretens zu ermitteln ist. So können wir einfach und schnell die
charakteristische Arzneiwirkung bestimmen und für die Heilung
unserer Patienten anwenden. Die große Stärke des SLs zeigt sich
somit in einer deutlich erhöhten Verschreibungssicherheit. Denn:
Je sicherer man die genaue Arzneiwirkung kennt, umso sicherer
wird der Heilerfolg. Erst diese neuartige Kombinierbarkeit sämtlicher
Zeichen der Materia medica ermöglicht eine genaue und sichere
Verordnung des Simile.

Mit dem Symptomenlexikon haben wir jetzt erstmals in der
Geschichte der Homöopathie die Möglichkeit, sämtliche
Zeichenkombinationen systematisch zu erfassen. Dazu sagt
G.H.G. Jahr im Vorwort zu seinem Repertorium (Symptomen­kodex):
„Wahr ist freilich, daß wir in der That nicht eher zu einer, auf ihre
eigenen Principien gegründeten Arzneiwissenschaft kommen werden,
als bis wir die bekannten Wirkungen unserer Mittel nach allen
Richtungen hin in ihren Analogien und Widersprüchen werden
kennengelernt haben und daß hierzu ein Werk nothwendig ist,
welches, wie das eben besprochene 48-bändige (Anm.: gemeint ist
hier Jahrs Entwurf eines Symptomen- Lexikons, das nach seiner
damaligen Berechnung 48 Bände umfasst hätte), uns die
Symptome in der That nach allen Richtungen hin unter jeder nur
erdenklichen Haupt- und Unterordnung in Extenso wiederholt, ist
auch nicht zu leugnen. (…) Alle unsere Repertorien sind bis jetzt nur
Übergangsformen, und können vor der Hand nichts anderes sein.“

Daraus ergibt sich, dass unser bisheriges Wissen der
Arzneimittelwirkungen in Bezug auf die Zeichenkombinationen nur
bruchstückhaft war. Das hat sich seit dem Erscheinen des
Symptomenlexikons komplett verändert! Jetzt endlich können wir

sämtliche überhaupt nur möglichen charakteristische Arzneiwirkungen
unserer Materia Medica systematisch und vollständig erforschen.


SB: Hast du denn jetzt mehr erfolgreiche Verschreibungen, als mit den
anderen Methoden? Bzw. klar ausgedrückt: Kannst du jetzt mehr
Patienten helfen?

MK: Selbstverständlich! Mit dem SL kann man das Similegesetz
endlich systematisch und unverfälscht anwenden. Und das geht
nicht nur mir so, sondern auch allen anderen Kollegen, die das SL
richtig anwenden können.


SB: Worauf sollte der mit dem SL arbeitende Homöopath besonders achten – in Bezug auf Anamnese, Folgeverschreibung und Fallverlaufsbeurteilung?

MK: Bei der Anamnese ist das Wichtigste, das Leiden des Patienten
wirklich zu verstehen. Viele Kollegen verschreiben dagegen auf
Basis von Charakter­eigen­schaften. Das hat jedoch nichts mit der
Erkrankung zu tun. Natürlich kommt es auch darauf an, die
persönliche Lebenssituation zu erkunden, das Umfeld, etc. Darauf
weist ja bereits Hahnemann im Organon in den § 5 und § 208 hin.

All diese Momente gilt es zu berücksichtigen, aber nur insofern, als
dass wir uns überlegen müssen, ob diese die homöopathische
Behandlung möglicherweise als krankheitsunterhaltende Ursachen
behindern könnten. In solchen Fällen ist vielleicht noch eine weitere
Therapieform hinzuzuziehen; z.B. Osteopathie, ein Diätplan, eine
Paartherapie, medizinisches Muskeltraining, etc. Aber wozu diese
Aspekte aus dem Leben des Patienten auf keinen Fall taugen, ist,
daraus ein Simile bestimmen zu wollen!

Treten Gemütssymptome bei einem Migräneanfall hinzu, wie z.B.
Traurigkeit oder Verzweiflung, ist es wichtig zu verstehen, ob die
Patientin traurig ist, weil sie wieder diese schlimmen
Migräneschmerzen ertragen muss oder ob die Traurigkeit als
begleitende Beschwerde dazu tritt. Ist die Patientin traurig und
verzweifelt aufgrund ihrer erneuten Schmerzattacke, so wie wir das
bei sehr vielen Schmerzpatienten erleben, so ist dies ein
reflektorisches Gemütssymptom, eine Art Folgesymptom der nicht
aufhörenden Schmerzen und in Bezug auf die Arzneimittelauswahl
nicht zu gebrauchen! Es ist doch klar, dass eine Patientin, die
erfolglos von einem Therapeuten zum anderen läuft, irgendwann die
Hoffnung verliert, dass ihr jemals noch geholfen werden kann. Diese
Traurigkeit wird sich mit dem Verschwinden der Migräne
notwendigerweise ebenfalls verlieren.

Gemütssymptome verwenden wir also nur dann, wenn sie primär
die Erkrankung bestimmen, beziehungsweise wenn sie die
Hauptbeschwerde darstellen, wie das bei den Geistes- und
Gemütskrankheiten der Fall ist.

Zum Charakter möchte ich noch sagen, dass jede Persönlichkeit
doch aus viel mehr Facetten besteht, als man in einer zweistündigen
Anamnese erkunden kann. Heute zeigt der Patient mir diese Facette
und morgen vielleicht eine ganz andere. In einer entspannten
Situation zeigt er wieder einen anderen Aspekt als in einer stressigen
oder traurigen oder, oder, oder. Wie kann ich als Behandler bewerten,
welche davon die Wichtigste ist, ohne in Interpretation zu verfallen?
Wahlhinweisende Gemüts­symptome sind für mich bloß diejenigen,
die sich während der Krankheit zeigen, ohne reflektorische
Gemütssymptome zu sein.

Zur Folgeverschreibung: Was Hahnemann und seinen Anhängern
eine Selbst­verständlichkeit war, nämlich dass eine schwere
chronische Krankheit mehrere Antipsorica benötigt, bis sie ausgeheilt
ist, dies ist heutzutage weitestgehend in Vergessenheit geraten.
Heute gibt es eine Sehnsucht nach immer neuen Mitteln, geboren
aus der Hoffnung nach dem einen großen Similimum, das wie durch
ein Wunder sämtliche Beschwerden und Lebensprobleme des
Patienten ein für allemal beseitigt. Ich kann mich diesem
verzweifeltem Bemühen nicht mehr anschließen bzw. bin diesem
Irrweg selber viel zu lange hinterhergelaufen. Ich komme mit den
125 Arzneien aus der RAML sehr gut aus. Zumal diese ja ein viel
größeres Wirkspektrum besitzen, als man 200 Jahre lang dachte.

Zur Fallverlaufsbeurteilung: Die Hauptbeschwerden des Patienten
müssen sich nach Gabe des Simile bessern. Gemütsaufhellung und
Zunahme der Vitalität sind auch oft zu beobachten. Werden jedoch die Hauptbeschwerden nicht besser, so muss das Mittel gewechselt werden.


SB: Kann man als Anfänger denn mit dem SL genauso erfolgreich arbeiten
wie ein erfahrener Homöopath?

MK: Das hängt davon ab, wie sehr man sich auf das SL einlässt.
Normalerweise läuft es so: Der Anfänger, der nur mit dem SL
arbeitet, wird mit der Zeit merken, dass es immer besser läuft.
Je mehr er das SL anwendet und Routine bekommt, desto höher
wird die Verschreibungssicherheit. Der Anfänger hat den Vorteil,
dass er nicht umdenken muss, so wie jemand, der vorher z.B. nach
Vithoulkas, Sankaran oder Kent gearbeitet hat.

Der bereits erfahrene Homöopath, der mit dem SL arbeiten möchte,
aber auf sein gewohntes bisheriges Therapiekonzept nicht verzichten
will, wird notwendigerweise eine Mischung aus Altem und Neuem für
sich erschaffen. Aus etlichen Gesprächen mit solchen Kollegen erfuhr
ich, dass sich in diesen Praxen die Verschreibungs-sicherheit nicht
wesentlich erhöht. Wer nämlich mit dem SL nach Charakter-
symptomen, Wahnideen, Causa, etc. wählen will, muss zwangsläufig
auch mit dem SL scheitern. Die Homöopathen vertrauen heute allen
möglichen Gurus, aber unerklärlicherweise nicht dem Begründer der
Homöopathie Samuel Hahnemann. Aber wer mit dem SL arbeiten will,
muss auch nach den Lehren Hahnemanns arbeiten, sonst funktioniert
es nicht.

In diesem Fall schlage ich den Kollegen immer wieder gern vor, dass
sie einmal 10% ihrer Fälle ausschließlich mit dem SL bearbeiten, um
selbst zu sehen, mit welcher Methode sie langfristig erfolgreicher
therapieren. In diesem Fall werden sie viel leichter die Überlegenheit
des SLs bemerken.

Der erfahrene Homöopath, der absolut überzeugt vom
Symptomenlexikon ist und nur noch damit arbeitet, arbeitet
ausgesprochen erfolgreich und erhöht seine Verschreibungssicherheit
deutlich.


SB: Welchen wichtigen Tipp würdest du einem Anfänger mit auf den Weg geben?

MK: Zu einem SL I- Kurs zu gehen. Dieser ist für all diejenigen gedacht,
die mehr über diese Therapieform erfahren möchten. Hier werden die
Grundsätze der Homöopathie Hahnemanns erklärt. Was ist ein echtes Prüfungssymptom, was eine Heilwirkung, was ist von dem so genannten Erfahrungsschatz aus 200 Jahren Homöopathiegeschichte zu halten
und viele andere Themen. Hier lernt man von Anfang an, dass man sich
auch kritisch mit der Homöopathie auseinandersetzen muss. Nichts ist
wichtiger, als sich eine eigene Meinung zu bilden, wie schon Hahnemann
sagte: Aude sapere!


SB: Unter Homöopathen herrscht vielfach die Meinung, dass die Arbeit mit dem Symptomenlexikon zu zeitaufwendig wäre. Kannst du dazu etwas sagen?

Erstens: Wie mit jedem neuen Werkzeug, wird der Zeitaufwand geringer,
je geübter man ist. Man kommt viel häufiger gleich bei der ersten
Verschreibung auf das Simile und spart damit viel Zeit, anstatt durch
immer neue Versuche das Simile zu suchen. Ich selbst kann davon
ein Lied singen! [lacht]

Zweitens: Die Anamnesen sind kürzer und prägnanter.

Drittens: Schon ab der 3.0 Version des digitalen SL ist die Zeitersparnis
durch die Repertorisationsfunktion enorm.

Viertens: Die Zeit, die es braucht, um das Leiden des Patienten wirklich
tief zu verstehen, um es anschließend gut mit einem Simile abbilden
zu können, diese Anamnesezeit sollte uns der Patient wert sein. Aber
das ist nicht das Problem des Symptomenlexikons, denn da geht es
nur um die Simile-Bestimmung. Andererseits entfällt viel Zeitaufwand,
den ich früher mit fruchtlosen Erkundungen der Ich-nahen Symptome
und der vermeintlich nötigen Charaktererisierung verbracht hatte.

Und zu guter Letzt: Nichts ist für einen Homöopathen befriedigender
als ein Praxistag, in dem er in der ganz überwiegenden Zahl der
Follow-up‘s erfährt, dass seine Verschreibungen richtig waren.


SB: Wie viele Patienten behandelst Du in Deiner Praxis im Durchschnitt
am Tag?

MK: An einem Zehn-Stunden-Tag mache ich ca. 20 – 25 Follow-up‘s.
Eine Erstanamnese dauert bei mir meistens 1 – 1,5 Stunden, bei
sehr schweren Pathologien auch mal länger.


SB: Du machst seit einigen Jahren für Homöopathen und angehende
Homöopathen SL-Seminare in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wie erlebst du die Resonanz?

MK: Das ist sehr interessant und immer wieder spannend für mich.
Bei einem SLI-Seminar sind alle Teilnehmer sehr unterschiedlich
vorgebildet, kommen also aus den unterschiedlichsten Richtungen
der Homöopathie – Ärzte wie Heilpraktiker, Apotheker oder auch
Tierärzte. Am Ende von SL IV sind dann alle auf einem ähnlich guten
Level. Im Laufe der Ausbildung lernen die Teilnehmer das
selbständige Ausarbeiten eines Falls mit dem SL.

Im Vorfeld der Ausbildungsmodule SL II – SL IV werden den
Teilnehmern einige Wochen vor Seminarbeginn Fälle zugeschickt, die
zu Hause allein gelöst werden sollen. Im Seminar werden diese dann
gemeinsam diskutiert. Dabei kann man dann das Mittel, welches man
für das am besten Passende hält, in einer Art „Plädoyer“ vorstellen
und begründen.

Bei diesen Plädoyers für ein Mittel kommen oft lauter ähnlich gute und
sehr oft richtige Vorschläge – und das angesichts dessen, dass die
Teilnehmer doch erst noch vor wenigen Monaten aus den
verschiedensten Homöopathierichtungen kamen. Das begeistert mich
selber immer am meisten und bestätigt mich in meiner Erkenntnis:
Die SL- Homöopathie ist lehr- und lernbar!!! Denn sie basiert auf
„deutlich einzusehenden Gründen“, wie Hahnemann das nannte.

Wie überall gibt es auch hier einerseits zögerliche Teilnehmer, die
etwas länger brauchen, um sich mit der Materie auseinanderzusetzen.
Dann aber, wenn sie merken, dass sie endlich bei einer wirklich
praktikablen Therapie angekommen sind, drehen sie oft auf und
machen sehr begeistert mit. Dann gibt es die anderen Kollegen die es
gleich von Beginn an wissen wollen. Leute die kritisch hinterfragen
und eben nicht alles hinnehmen, was vorne gesagt wird. Letztlich
landen beide Gruppen bei Hahnemanns Leitspruch: „Aude sapere“
(„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ) Das
gefällt mir besonders gut und das ist auch das, was ich mir in meinen
Seminaren wünsche.


SB: Wenn man keinen Computer hat oder keinen benutzen will, kann man dann trotzdem mit dem SL arbeiten?

MK: Nein. Die erste Buchauflage ist längst vergriffen. Die digitale
Form des SLs ist unendlich praktischer und nach einer kurzen
Einübungszeit sehr leicht zu bedienen. Selbst für jemanden wie mich,
der sich mit Computern nicht gerade gut auskennt.


SB: Wie gut funktioniert die Behandlung mit dem SL bei:
schweren Erkrankungen | Geistes- und Gemütserkrankungen |
Kindern / Babies?

MK: Dazu kann ich nur sagen, dass das Similie-Gesetz bei allen
Pathologien und allen Arten von Patienten wirkt. Einzige
Einschränkung sind die symptomenarmen Fälle, die Hahnemann
„einseitige Krankheiten“ nannte – hier hat allerdings jeder
Homöopath seine Schwierigkeiten – sowie die Patienten, deren
Lebenskraft am Ende ist.


SB: In einem Satz: Warum sollten Homöopathen mit dem SL arbeiten?

MK: Wie ich es schon erwähnt habe: Weil es die einzige Möglichkeit
darstellt, das Similegesetz systematisch und unverfälscht
anzuwenden.
 

MK: Zu guter Letzt eine Frage von mir an meine Interview-Partnerin:
Du arbeitest jetzt seit ca. 1 ½ Jahren selbst mit dem SL – was sind
denn deine Erfahrungen?


SB: Ich war von Beginn an sehr begeistert vom SL. Ich habe im SL I-Seminar sehr viele Aha-Effekte erlebt und konnte es kaum abwarten, endlich damit richtig arbeiten zu können. In meiner Praxis erlebe ich nun sehr oft, dass das mit dem SLD herausgesuchte Mittel schnell und nachhaltig hilft. Bei alten Menschen, die ja als schwierig zu behandeln gelten, ist die Verschreibungs­sicherheit genauso hoch und ich habe schon erlebt, dass ein Schwindel, der Jahrzehnte lang bestand, nach
5 Gaben Q3 verschwunden war und die Patientin keine herkömmlichen Medikamente mehr dafür brauchte. Wenn ein Mittel mal nicht wirkt, ich aber keine Fehler in der Analyse entdecken kann, dann ist es oft das zweite Mittel, das schnelle Hilfe bringt. Was mich direkt darauf bringt, dass man seine Verschreibungen mit dem SLD optimal nachvollziehen kann und Fehler oder Irrtümer somit leicht zu entdecken sind. Bei den Anamnesen fühle ich mich sehr gut und klar. Ich habe keine Angst, bei psychologischen Themen in Interpretation zu
verfallen, da ich ja nur die offensichtlichen, jetzt bestehenden
Geistes- und Gemütssymptome für meine Verschreibungen in
Betracht ziehe. Das lässt mich die Rolle des „unvorein­genommenen
Beobachters“ leicht einnehmen. Das alles zusammen gibt mir ein schönes Gefühl der Sicherheit und immer wieder die Gewissheit, mit der richtigen Methode zu arbeiten.

 

Dieses Interview wurde im September 2017 nach den aktuellen Regeln der Rechtschreibung überarbeitet.